Oje, ich wachse!
Als Luna 17 Wochen alt war kaufte sich Anne ein Buch. Das ist jetzt nicht das ungewöhnlichste Verhalten, das sie je an den Tag gelegt hat, jedoch war die Art des Buches eine bis dahin (zumindest bei uns) umstrittene. Sie kaufte einen Baby-Ratgeber. Das war für uns damals so außergewöhnlich, weil wir der Meinung waren (und noch heute sind), dass man Babys, Kleinkinder und Kinder nicht miteinander vergleichen kann. Das ist auch der Grund, weshalb ich niemals von Kindern im allgemeinen schreibe, sondern lediglich von meinen eigenen. Annahmen zu treffen, aufgrund einer winzigen „Stichprobe“ halte ich einfach nicht für angemessen.
Wie dem auch sei. Anne kaufte also das Buch mit dem Titel „Oje, ich wachse!“ von den Psychologen Dr. Hetty van de Ritt und Dr. Frans X. Plooij. Eine Abhandlung „von den 10 ‚Sprüngen‘ in der mentalen Entwicklung Ihres Kindes während der ersten 20 Monate und wie Sie damit umgehen können“. So ein richtiger Ratgeber eben. Aber wie kam es dazu? Und warum schreibe ich jetzt darüber? Vorhang auf, für Malin!
Happy 18. Woche!
Malin wurde letzten Sonntag 18 Wochen alt. Diese Woche ist etwas besonderes, denn sie kommt mit dem heftigsten „Sprung“ daher, den man in den ersten Monaten eines Kleinkindes erleben kann. Luna war damals früh dran und auch Malin begann bereits vor ihrem 18 Wochen-Jubiläum mit den ersten Anzeichen dieses „Sprungs“.
Dabei begann alles so friedlich. Anne, Luna, Malin und ich hatten gerade einen wunderschönen Tag im Frühling verlebt. Wir waren in der Natur. Hatten es uns auf einer Decke in der Sonne gut gehen lassen und uns lächelnd über die rasende Entwicklung unserer beiden Töchter gewundert. Es war mittlerweile später Abend. Luna schlief bereits und wir waren im Begriff das Gleiche zu tun. Malin jedoch nicht. Es war der Beginn einer Reihe neuer und vor allem anstrengender Situationen in unserem neuen Leben zu viert. In „Oje, ich wachse!“ heißt das Kapitel des Sprunges in den sich Malin nun begeben sollte: „Freud und Leid mit etwa 19 Wochen oder 4 ½ Monaten“.
Neben den Antworten zu den Fragen „Schläft es schlechter?“ und „Verlangt es nach mehr Aufmerksamkeit?“ findet sich in diesem Kapitel folgender Auszug:
Ist es launisch? Einige Babys sind nun sehr wechselhaft in Ihren Launen. An einem Tag sind sie fröhlich, und am nächsten ist das absolute Gegenteil der Fall. Ihre Stimmung kann auch von jetzt auf nachher umschlagen. Gerade haben sie aus vollem Hals gelacht, und dann fangen sie an, herzzerreißend zu schluchzen. Manchmal gehen sie vom Lachen direkt ins Heulen über. Die Eltern haben dann oft den Eindruck, dass sowohl das Lachen als auch das Heulen dramatisch und übertrieben klingen.
Oje, ich wachse! – Dr. Hetty van de Rijt & Dr. Frans X. Plooij – Seite 119
Wobei ich „dramatisch und übertrieben“ noch für dramatisch untertrieben halte.
Der schwierigste aller „Sprünge“
Aber was macht diesen „Sprung“ so besonders? Ich denke, während dieses „Sprungs“ stehen die Fähigkeit und der Drang des Kindes sich mitzuteilen in einem solchen Missverhältnis, dass es sich nur mit (für uns) völlig übertriebener Intensität Gehör verschaffen kann. Das Ganze kommt dann auch noch ohne Vorwarnung und beginnt von heute auf morgen. Das einzig Gute daran; es geht auch von heute auf morgen wieder weg. Und wenn diese Zeilen etwas bitter klingen, dann vielleicht weil ich in den letzten Tagen einfach sehr wenig Schlaf gefunden habe.
Dieser „Sprung“ stellte uns bei Luna bereits vor solche Herausforderungen, dass Anne sich ein Buch kaufte, weil sie in ihrer Verzweiflung wissen wollte, was auf einmal mit ihrem, bis dahin so (relativ) friedlichem Baby passiert war. Bei Malin, jedoch trifft dieser „Sprung“ auch noch auf den Spruch, an dem bei ihr einiges dran ist; „die Zweiten sind immer lauter“.
Auch, wenn ein Kind nach jedem der „10 Sprünge“ neue Fähigkeiten erlernt und diese eben durch eine etwas leidigere Phase verarbeitet, scheint es, dass dieser spezielle „Sprung“ mit einem Verlust vieler, bisher entwickelten Gewohnheiten daher kommt. Ich kann Malin nicht mehr mit „weißem Rauschen“ aus der Sound Sleeper App beruhigen, was in ihrem ersten drittel Jahr wunderbar funktionierte. Sie mag es nicht mehr, im Fliegergriff gehalten zu werden. Sie Spuckt mehr. Und sie kann sich aktuell in wenigen Sekunden in Schreikrämpfe steigern, die einem das Nervenkostüm zerreißen können.
Ein neues Kind
Schon heute, aber vor allem nach diesem „Sprung“, können die Kleinen jedoch ein ganzes Repertoire an neuen Dingen. Es ist fast so, als ob man ein neues Kind bekommt. Wie die Raupe, die zum Schmetterling wird. Malin konnte sich zwar schon vor einer Woche bereits umdrehen. Jetzt ist sie so eifrig dabei Krabbeln zu lernen, dass sie es manchmal furchtbar wütend macht, wenn die zurückgelegte Strecke nicht im gewünschten Tempo bewältigt werden konnte. Luna bekam damals den Spitznamen „der kleine Hulk“ und auch Malin hat sich diese (lieb gemeinte) Bezeichnung in den letzten Tagen redlich verdient.
Das weiße Rauschen interessiert sie zwar nicht mehr, dafür kommt mir jetzt zu Gute, dass ich singe. Sie hängt förmlich an meinen Lippen und schaut mich aus ihren großen blauen Augen gebannt an. Außerdem ist sie neugierig auf alles, was sich bewegt und am Frühstückstisch weiß sie gar nicht, wem von uns sie am gebanntesten lauschen oder zuschauen will.
Ja, diese „Sprünge“ können wahnsinnig hart sein. Der vorgehaltene Spiegel, der einem zeigt, dass man Geduld-Haben mühselig lernen muss, ist auch kein schöner. Aber der Lohn nach der Landung ist umso größer. Nicht nur für das Kind. Sondern vor allem für die Eltern, die es schaffen sich von solchen Dingen nicht aus der Bahn werfen zu lassen.